hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

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Good Morning, Armenia!

Als nächsten Film aus der Sparte Spektrum schaute ich mir heute, Donnerstagabend, die armenische Produktion “Good Morning” an – Dabei hatte ich als besondere Insider-Begleitung eine Kommilitonin und Freundin aus Armenien dabei, die seit gut anderthalb Monaten in Cottbus wohnt und studiert. Der Film zeigt Arshak, einen Journalisten, im heutigen Armenien. Ein junger Familienvater, der sein Land liebt, und doch mit dem Gedanken spielt, es zu verlassen.

Der Film ist eine Reise in seine eigene Zerrissenheit. In die Vergangenheit und Gegenwart des Landes, für dessen Ideale sein Vater einst gekämpft hat, dem er sich zutiefst verbunden fühlt, und doch zweifelt, ob es hier eine Zukunft gibt. Treffend symbolisiert wird dies durch die stille Präsenz des fast immer sichtbaren Berg Ararat, der für viele Armenier das zentrale Symbol ihrer Zugehörigkeit und Heimat ist – der Berg scheint immer genau in den Momenten, in denen Arshak hadert und zweifelt, den Hintergrund zu bilden, vor dem er sich verantworten und entscheiden muss. Und dann sind da die Erinnerungen die Arshak mit sich trägt:
Rückblende in eine graue, winterliche Stadtlandschaft. Armenien in den 90er Jahren, die Sowjetunion ist zerfallen und Armenien befindet sich in einem bitteren Krieg mit Aserbaidschan. Arshaks Vater ist an der Front, wie viele andere Männer. Währenddessen verlassen viele Armenier das Land.
Diese Zeit ist von Kargheit und Kälte geprägt, das zeigt sich in den Rückblenden deutlich in der Omnipräsenz des Schnees in der grauen Stadt, durch dessen Straßen ein kleiner Arshak mit runder Brille und viel zu großer Fellmütze stolpert. Es ist eine Zeit, in der die Menschen die geliebten alten Maulbeeren-Bäume aus den Gärten wegfällen und zu Brennholz machen, zur Not aber auch ihre Bücher oder Musikinstrumente in den Kachelofen schieben. Es gibt keinen Strom, keine Heizung. Fürs Brot, welches nur einmal am Tag oder auch seltener geliefert wird, braucht man einen Coupon und eine Menge Geduld, denn die Schlange ist lang. Der kleine Arshak fragt seine Oma, wann sein Vater wiederkommt. „Wenn der Krieg zu Ende ist“ – „und wann ist der Krieg zu Ende?“ „Wenn wir gewinnen“ „Und wann wird das sein?“ Die Oma verliert die Geduld „Geh endlich rüber und frag deinen Onkel, ob wir die Kartoffeln bei ihm auf den Ofen stellen können“.
Wieder in der Gegenwart, Arshak und Armenien heute, der Konflikt mit Aserbaidschan ist noch immer an der Tagesordnung. Noch immer und wieder verlassen Armenier das Land, denn egal wohin man geht, anderswo wird das Leben einfacher sein. Nicht nur der Krieg ist ein Problem, auf der Straße gibt es Proteste gegen die Erhöhung der Busticketpreise. Kriegsveteranen sind frustriert, weil die Regierung ihnen keine Zugeständnisse macht- ein Raum voller Medaillen und Orden, aber keine Krankenversicherung, keine ordentliche Entschädigung. Arshak riskiert jedes Mal seinen Job, wenn er zu Regime-kritisch berichtet.
Doch Weggehen heißt auch: das Land seiner Kindheit, seiner Familie, seines Herzens verlassen. Man kann verstehen, warum Arshak zweifelt: nicht nur seines Vaters wegen, sondern auch, weil seine Kindheit im Krieg trotz aller Umstände Geborgenheit zeigt, und Zusammenhalt und ja, auch Glück und Freude. Die Oma, die ihn gegen die Kälte wärmt, der große Bruder, der ihn gegen halbstarke Teenies beschützt, die schrullige Brotfrau, die seinen vertrödelten Coupon findet und aufhebt, das rothaarige Mädchen, in das er sich in der Bäckerei-Schlange verliebt. Und auch die Rückblenden, in die Zeit vor dem Krieg: ein warmer sonniger Tag, fußballspielende Kinder auf den Straßen. Eine Maulbeerenernte mit der Familie im grünen Sommer.
Der Film „Good Morning“ ist, trotz der ein- oder anderen Länge im Plot, ein äußerst berührender und persönlicher Film, nicht nur für meine Freundin, die ja in einer ganz ähnlichen Situation war und die Themen des Films von innen kennt. Auch mich hat der Film sehr bewegt und beeindruckt. Beeindruckt war ich auch angesichts der Tatsache, dass der sehr junge Hauptdarsteller im Film ein Laie ist und die Produktion insgesamt ohne institutionelle Finanzierung ausgekommen ist. Obwohl der Film in der Sparte „Spektrum“ wirklich starke Konkurrenz hat, war er bisher mein Favorit. Ich empfehle „Bari Lyus“ (armenischer Titel) jedem weiter, und sage nun „Bari Gisher“ (Gute Nacht) und bis morgen!!!

Judith Lippelt

Foto: Judith Lippelt

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